Subversive bookfair in Brussels

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Entlang Brucheslinien

Etwas Seltsames ist passiert. Vor wenigen Jahren noch, wurde an Diskussionen über die Subversion dieser Gesellschaft, immer jene eine Bemerkung hinzugefügt. Als ob es nötig war um jene Prämisse auszusprechen, um nicht direkt beim unvermeidlichen Zynismus zurecht zu kommen. „Aber natürlich werden wir das nie miterleben“ oder „ Falls es jemals soweit kommt“. Dieses nie und jemals, diese beiden Seiten derselben Fata Morgana, hielten die Anti-Autoritäre Bewegung an der Infusion angeschlossen. Sie hinderten uns daran gewisse Fragen offen auf den Tisch zu legen. Sie versahen unsere Aktivitäten mit unsichtbaren Grenzen. Und vielleicht zurecht. Vielleicht konnten wir nicht mehr tun als gewisse Ideen und Taten, im Schatten der Gesellschaft, in der Marge der politischen Protestbewegungen, am Leben zu erhalten. Vielleicht hat die (repressive und ideologische) Reaktion auf die Kämpfe der 70er und 80er Jahre uns zwei Jahrzehnte lang überrumpelt. Die Gesellschaft der 90er und 00er Jahre liess uns nicht viel Luft um zu atmen. Aber wie es auch sei, es hat sich etwas verändert. Obwohl ich noch sehr jung bin, lebt in mir doch der Gedanke, dass die „sozialen Gegebenheiten“ nicht mehr die selben sind. Dass auch eine „anarchistische Perspektive“ nicht mehr die selbe sein kann und dass es bereits verschiedene Experimente gibt, die die neuen Möglichkeiten versuchen abzutasten. Und vielleicht ist es gerade aufgrund meiner jungen Jahre, dass ich überall Veränderung sehen will. In zwanzig Jahren wird sich zeigen ob die Welt noch immer in den gleichen Bahnen verläuft und dieselben autoritären Mechanismen der Ausbeutung und Unterdrückung spielen, ungeachtet einiger wenigen Anpassungen und Ausbesserungsarbeiten hier und dort. Und falls es so sein wird, dann soll es wenigsten daran liegen, dass unser Enthusiasmus es schlichtweg nicht gegen die konservative Gesellschaft aufnehmen konnte. Und nicht daran, dass wir schwiegen während wir eigentlich hätten sprechen müssen oder flüsterten während wir hätten schreien sollen. Lasst uns verhindern, dass der Grund dafür unsere leeren Hände sein werden, mit denen wir wie Bettler entlang dem Wege standen, bittend für ein Krümmel von Protest, während der Fortschritt an uns vorbeizog. Und das alles während wir den Stock hätten ergreifen können und diese makabere Karawane zumindest für einen Moment zum Stillstand hätten bringen können.

Um unsere Wut auf Papier zu bringen und unsere Verlangen in Worte zu fassen, greifen wir regelmässig auf Schriften zurück, deren Ursprung lange vor unserer Geburt zu suchen ist. Diesen anarchistischen Flugblätter aus alten Zeiten wird nicht selten nachgesagt über ihr Haltbarkeitsdatum hinaus zu sein. Nun, lassen wir gerade dies ihre Stärke sein. Anstatt eine Anwendung eines sterilen Models zu sein, eine Reproduktion als Beweis der eigenen Wahrheit, situieren sie sich am schärfsten Punkt des Messers Schneide, zwischen der totalen Kritik und der Anwesenheit in spezifischen Gegebenheiten. Nichtsdestotrotz müssen wir in der Lage sein die heutigen spezifischen Umstände begreifen zu können. Auf sozialem Gebiet kann man heute sehen, dass nach dem neoliberalen, ideologischen Anfall auf den Wohlfahrtsstaat in den 90er Jahren, jetzt mit dem echten Abbruch der sozialen Demokratie begonnen wird, mit der ökonomischen Krisis (pervers gezogen durch die neoliberale Ideologie) als konstante Drohung. Unterricht, Gesundheitswesen, Kultur, öffentliche Verkehrsmittel, Stadtentwicklung müssen nun nicht mehr so sehr ihren Wählermehrwert, sondern viel mehr ihren ökonomischen Mehrwert unter Beweis stellen. An allen Enden muss gespart werden, einzig der Repressionsapparat wird nicht unter Beschuss genommen (auch wenn die Gefängnisse und der Überwachungssektor teilweise privatisiert werden). Zur selben Zeit erzählen uns die europäischen Herrscher Merkel, Sarkozy und Cameron, dass die multikulturelle Gesellschaft gescheitert ist. Kurzum, vorbei mit der sachten Integration, den sozialen Reformen und Subventionen, der Verteilung der Machtsitze unter den Leitern der sozialen Bewegungen und Gemeinschaften. Der soziale Frieden wird uns immer öfter durch hartes Durchgreifen aufgezwungen werden, während Menschen aus dem Boot fallen. Entgegen der Feststellung, dass die Armut zunimmt oder sich aufrechterhält (die Perspektive um die soziale Leiter hinaufzuklettern nicht mehr besteht), dass gewisse Gruppen nicht willkommen scheinen in dieser Gesellschaft, dass einzig (solide) Arbeit Zugang zur sozialen Integration verschafft, dass das Gefängnis ein Ort wird, wo viele mit Sicherheit mehrere Male in ihrem Leben durchlaufen werden, sind die Konflikte auf den Strassen, zwischen den Ordnungshütern und jungen Leuten, zu einer Konstante geworden.

Die Aufstände im Norden von Afrika und ihre revolutionäre Unterströmung finden auch Widerhall auf der anderen Seite des Mittelmeers. Die durch die Medien am meisten thematisierten sind, wie so oft, wahrscheinlich auch jene die am uninteressantesten sind. Die Platzbesetzungen in Spanien (und anderen Ländern) und die Aufrufe zu „echter Demokratie“ scheinen oft nichts mehr als Verzweiflungstaten eines linken Wählerpublikums zu sein, das verwirrt ist, seit die sozialdemokratischen Parteien selbst, das sozialdemokratische Projekt begraben haben. Obwohl ich es sympathisch finde, dass Menschen sich Zeit und Raum nehmen um, wenn auch nicht alles, dann doch vieles in Frage zu stellen, wäre es doch naiv um hierbei stehen zu bleiben; der Pazifismus und der Konsens von öffentlichen Plena nehmen schon viel Zeit und Raum in Anspruch. Es gibt sogar Leute die es wagen zu behaupten, dass die Aufstände in der arabischen Welt pazifistisch waren und sich via Internet organisierten. Die Aufmerksamkeit der westlichen Medien galt vor allem dem Tahrirplatz (die Gründe dafür scheinen natürlich evident), aber ein vages Gefühl sagt mir, dass es doch hauptsächlich die Städte und Dörfer waren, da wo alle offiziellen Einrichtungen der Macht (Parteibüros, Staatsgebäude, Polizeikommissariate) angegriffen und niedergebrannt wurden, die die Regime auf die Knie gezwungen haben. Und wer Twitter während des Aufstandes in Ägypten versuchte zu folgen, verging von Langeweile und der endlosen Reproduktion der Nachrichten von Al-Jazeera (die dann erneut vor allem auf dem Tahrirplatz anwesend waren).

Unabhängig von den Limits der herrschenden Unruhe, gibt es einige ermutigende Konstante. Das grosse Stillschweigen von sowohl Griechenland im Dezember 2008, wie auch den französischen Banlieus in 2005 und anderen sozialen Konflikten gegenüber dem Staat. Es wurden keine Forderungen formuliert, keine Vertreter angedeutet und kein Dialog angegangen. Die Rekuperierungsmöglichkeiten werden dadurch ernsthaft eingeschränkt. Darüber hinaus zeigt die Demokratie deutlich ihren Unwillen um, ausser durch harte Repression, Antworten zu bieten. Sogar gegenüber den „Empörten“ guten Bürgern liess man den Knüppel regieren. Wahrscheinlich entscheidet sich der Staat jetzt für ein Szenario worin er für den Krieg aller gegen alle (oder Gemeinschaften gegen Gemeinschaften) wirbt. Eine Tendenz die bereits anwesend ist und auf anderen Kontinenten sich in voller Entwicklung befindet. Bei einer solchen Geschichte basiert der Staat seine eigene Legitimität auf der Rolle des Schiedsrichters (und nicht gezwungenermassen ein neutraler).

Lasst uns hier deutlich sein; ich bin nicht auf der Suche nach der, auf den sozialen Kontext anwendbaren und unvermeidlich zur Lösung aller Problemen führenden, Formel. Da hinzu kommt, dass der spezifische Kontext überall anders ist. Mit einem Mix aus Amüsement und Empörung haben wir feststellen müssen, dass die Illusion des historischen Determinismus noch immer am Leben ist. Und dass seine prophetischen Worte noch immer viele in seinem Bann vermögen zu halten. So gibt es jene, die den Aufstand oder Bürgerkrieg vorhergesagt haben und gleichzeitig darauf hingewiesen haben, dass er bereits anwesend ist. Oder jene, die voll sind mit Multitude oder Basisdemokratie, sowohl im Sein als in Worten. Der Kapitalismus habe uns einen Dienst erwiesen, indem er die Basis seiner eigenen Negation geschaffen habe. Jetzt müsse man ihn einzig noch von sich abschütteln und dies durch eine Art Formung von Selbstbewusstsein, einem politischen Projekt. Ich verstehe, dass allerhand Marxisten (Post-, Neo-, Akkoladen des jungen Marx oder von dem Marx des Flugblattes über die Pariser Kommune, etc.) ziemlich durcheinander waren, nachdem sich zeigte, dass sich die revolutionären Subjekte in Zielgruppen des Klientelismus und sozialdemokratischer Reformen transformierten. Einige sind vielleicht auch aus pragmatischeren Gründen von Farbe verändert (repressiver Druck, die Wurzel der akademischen Karriere, leere Mitgliedslisten…) In jedem Fall hat ein Teil davon die Dialektik über Bord geworfen. Nun begrüssen sie den Immanismus. Dasselbe philosophische Spielchen mit dem sich auch das Christentum zu erneuern versuchte. Als es allen deutlich wurde, dass es keinen Gott gab der über uns stand und uns strafen und belohnen konnte, und dass leben ohne Gott überaus möglich war, begannen sie uns zu erzählen, dass Gott überall ist (aber doch vor allem in den ‘guten’ Dingen) und dass wir Gott nicht als eine allmächtige (und somit gerechte oder ungerechte) Figur oberhalb der Welt betrachten mussten (auch wenn sie es waren, die dies jahrhundertelang behauptet hatten). So ist der Kommunismus nicht länger das Resultat eines gewalttätigen, politischen Ereignis; der Revolution. Denn er ist bereits anwesend und wir müssen ihn einzig noch zu seinem vollen Bewusstsein bringen. Auf diese Weise verschwindet auch der interessanteste Aspekt der Dialektik, der Bruch nämlich. Der Moment, indem deutlich wird wer Teil der revolutionären Kräfte ausmacht und wer Wert auf den Erhalt der heutigen Gesellschaft legt. In der marxistischen Version wird dies natürlich durch das respektive ökonomische Interesse festgelegt und somit kann nicht wirklich die Sprache einer freien Wahl sein (sonst würden das revolutionäre Subjekt und die Unumgänglichkeit/der Determinismus nämlich ihren Boden unter den Füssen verlieren). Ohne den inhaltlichen Bruch, kann uns sowohl die Multitude wie auch der Bürgerkrieg nicht versichern, dass sie nicht eine Fortsetzung des kapitalistischen Projektes sind, dass sie nicht einfach neue Erscheinungsformen autoritärer Mechanismen sind. Uns muss bewusst werden, dass seit dem Entstehen des Kapitalismus und des Staates, beide ziemlich erfolgreich im ersticken von Widerstand waren, indem sie sich jedesmal erneut einer Reform unterzogen. Durch Rekuperierung und Repression (und falls nötig ein Teil von sich selbst aufopfernd) haben sie sich anpassen und am Leben erhalten können. Und es ist gerade weil sie kein parasitärer Körper sind, sondern sämtliche sozialen Beziehungen durchdrungen haben, dass sie dabei so erfolgreich gewesen sind. Das ist der Grund warum der (individuelle) Aufstand so notwendig ist, zusammen mit der Kritik jeglicher Autorität und dem Willen, andere soziale Beziehungen an zu gehen. Wir müssen diesen Bruch in so vielen möglichen Momenten affirmieren um zu verhindern, dass wir sowohl als Individuen, wie auch in unserem Kampf, uns von autoritären Mechanismen mitreissen lassen.

Die Demokratie steht nicht mehr länger für das Ende des Horizonts, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Der soziale Frieden wird, durch die Erpressung der Arbeit (und dem Zugang zu Geld um zu überleben und „leben“/konsumieren) und der Repression, immer deutlicher zum auferlegten Frieden. Es genügt nicht mehr Löcher in die Mauer des sozialen Friedens schlagen zu wollen. Ich denke, dass der Einsatz heute höher liegt. Denn der soziale Frieden beginnt bereits viele Risse und Löcher aufzuweisen. Eine Unzufriedenheit und Wut schleicht herum. Und die religiösen und nationalistischen Prediger stehen klar um all dies zu rekuperieren. Wir müssen bereit sein zu zeigen, dass Solidarität, Selbstorganisation und direkte Aktion uns stärker machen können. Dass dies lebende Ideen sind die uns Kraft geben können gegenüber der Leere des kapitalistischen Bestehens. Wir müssen auch im Stande sein, Banden zwischen Gruppen zu kreieren, die sozial und/oder geografisch geschieden sind. Wir müssen eine Kreativität von Taten entwickeln, um die Macht in all ihren Formen anzugreifen und vor allem um die Konflikte aus ihrem traditionellen Territorium wegzuholen und ihnen eine grössere Dimension zu geben. Heute können wir sagen „Wir wollen Revolution“ weil dies keine leeren Worte sind, sondern Worte denen wir jeden Tag erneut mehr Bedeutung geben.

 

_Anon_

Category: deutsch

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